Soll man in IPOs investieren?
02.10.2014
Spätestens seit dem IPO (http://de.wikipedia.org/wiki/Börsengang) von Alibaba, dem chinesischen Internetgiganten, stellt sich wieder einmal die Frage: Soll man als Investor in Aktien von neu an der Börse gehandelten Firmen investieren? Für welche Art von Investor kann es sich lohnen, und für wen nicht?
Warren Buffett wurde heute auf CNBC gefragt: Alibaba? Seine Antwort: "I don't think we've bought an IPO in over 50 years."
Jeremy Siegel ist der Frage zu IPOs in seinem lesenswerten Buch The Future for Investors ausführlich nachgegangen, und, um das Resultat vorwegzunehmen, das Fazit lautet auch hier: Hände weg von IPOs.
Ich möchte hier beschreiben, wie der Autor vor etwa zehn Jahren zu diesem Schluss kam.
Kapitel 6 von Siegels Buch beginnt mit einem Zitat von Benjamin Graham aus dessen Buch The Intelligent Investor:
Die meisten neuen Aktien werden zu „günstigen Marktbedingungen“ verkauft – was heisst, günstig für den Verkäufer und weniger günstig für den Käufer.
Börsengänge wie jene von Facebook, Twitter, Alibaba oder Zalando sind eine grossartige Sache für die Firmengründer, für alle beteiligten Banken, und für jene Investoren, welche Aktien der betroffenen Firmen VOR dem Börsengang kaufen konnten. Firmen wie etwa Tesla oder SolarCity stehen für zukunftsweisende technologische Entwicklungen. Hinter anderen Firmen, wie etwa Facebook, stehen phänomenale gesellschaftliche Trends, welche es wahrscheinlich machen, dass sich mit diesen Firmen viel Gewinn erwirtschaften lässt. Aber auch bei wenig spektakulären Börsengängen lockt das Potential, welches die innovativen Firmen für Zukunft haben. Schliesslich sind es ja die neuen Firmen mit ihren innovativen Konzepten, welche unsere Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt vorantreiben, schliesslich wird oft gerade dort das grosse Geld verdient.
Das ist alles durchaus richtig, aber für langfristig orientierte Investoren sind Investitionen in frisch an der Börse gehandelten Firmen meist ein schlechtes Geschäft.
Weshalb ist das so?
Jeremy Siegel hat dies mit einer Untersuchung von fast 9000 Börsengängen zwischen 1968 und 2003 untersucht. Dabei hat er festgestellt, dass rund 80% dieser Aktien jeweils über lange Zeiträume schlechter abschnitten als der Gesamtmarkt (Repräsentiert durch einen Index auf kleine Aktien.) 17% der IPO-Aktien unterschritten die Performance des Vergleichsindex jährlich um 30% oder mehr! Im Gegenzug haben nur 20% der IPOs den Index geschlagen, und nur 1% der neuen Firmen haben den Vergleichsindex um mehr als 30% geschlagen.
Wer mit IPOs den Markt also deutlich schlagen will, muss aus allen IPOs jenes eine Prozent erraten können, welches erfolgreich sein wird. Das ist nicht ganz so schwierig wie die sechs Richtigen im Lotto vorauszusagen, hat aber wenig mit überlegtem Investieren zu tun.
Ein Opfer der Wachstumsfalle
Ein weiteres Problem bei Aktien von frisch kotierten Firmen ist die sogenannte Wachstumsfalle, welche Siegel im ersten Teil seines Buches beschreibt. Siegel beschreibt damit den bei vielen Anlegern verbreiteten Glauben, dass man durch Investieren in schnell wachsende Firmen die grössten Gewinn erzielen wird. Ausführliche Untersuchungen des Autors haben ergeben, dass dieser Glaube falsch ist – eben eine Falle. Er belegt diese Erkenntnis mit vielen Beispielen aus den letzten vierzig Jahren. Immer wieder waren Investitionen in die allerlangweiligsten Aktien weit besser als in jene von schnell wachsenden Firmen.
Siegel beschreibt das Rennen zwischen IBM und Standard Oil of New Jersey, von 1950 bis 2003. IBM war um 1950 die heisse Technologieaktie mit einer blendenden Zukunft, guten Wachstumsraten, und einer nicht allzu üppigen Dividende von 2.2%. Standard Oil traute man kein riesiges Wachstum mehr zu, die Firma bezahlte eine Dividende von über 5% aus und galt als wenig attraktiv. 1950 werden in beide Firmen 1000 Dollars investiert. Und 2003? Welche Firma macht das Rennen?
Standard Oil schlägt IBM deutlich. Aus den 1000 Dollars sind, mit allen reinvestierten Dividenden, bei Standard Oil 1.26 Millionen geworden. Bei IBM sind es „nur“ 0.96 Millionen, 24% weniger. Weshalb ist das so?
1950 wurde IBM mit einem Kurs/Gewinn-Verhältnis von 26.7 gehandelt; Standard Oil mit einem KGV von 13. Das heisst, pro Dollar Gewinn haben die Investoren von IBM mehr als doppelt so viel bezahlt wie jene von Standard Oil. Das hat sich langfristig gerächt, obwohl IBM viel stärker gewachsen ist als die langweilige Ölfirma.
Andere Beispiele von hervorragenden Langfristerfolgen: Altria (Philipp Morris) (traurig aber wahr!), Pfizer, Coca Cola, PepsiCO, Merck, Colgate-Palmolive, Wrigley, Procter&Gamble, General Mills, um nur die bekanntesten Firmen aufzuzählen. Sie alle haben in ihrer Langweiligkeit den für die USA wichtigsten Index SP&500 über Jahrzehnte deutlich geschlagen. Grosse, bestandene, langweilige Firmen mit regelmässigen Gewinnen und regelmässigen Dividenden können also die schnell aufstrahlenden Sterne am Börsenhimmel locker schlagen, wenn es über einen längeren Zeitraum geht.
Die Erwartungen an neue Stars sind immer hoch, und Investoren sind bereit, für tolle Zukunftsaussichten tief in die Tasche zu greifen - viel zu oft viel zu tief! Das ist für den technologischen Fortschritt zwar gut und wichtig, denn irgendwer muss ja dafür bezahlen – aber die Investoren haben mittel- und langfristig mit überteuerten IPO-Aktien keine grosse Freude.
Nochmals Ben Graham:
Einige dieser neuen Aktien können hervorragende Kaufgelegenheiten sein – Jahre später, wenn sie niemand mehr haben will und sie für einen Bruchteil ihres wahren Wertes zu haben sind.
Akamai Technologies z.B. kam fast auf dem Höhepunkt der Internet-Euphorie an die Börse und wurde, obwohl kein Gewinn geschrieben wurde, innert weniger Monate von 60 Dollars auf über 320 Dollars hochgetradet. Im Oktober 2002, also zwei Jahre nach dem Börsengang, wurde die Aktie deutlich unter einem Dollar gehandelt. Anders als unzählige neue Firmen hat Akamai das Platzen der Internetblase überlebt und wird auch heute an der Nasdaq gehandelt. Der Kurs steht Ende September 2014 bei rund 59 Dollars.
Akamai ist bestimmt ein extremes Beispiel. Mitten in der Internetblase geboren, das kann ja nicht gutgehen. Aber wir können auch am Schweizer Markt genügend Beispiele finden, welche die Richtigkeit des Zitats belegen:
- Myriad Group: IPO 2005 bei 16, dann rauf auf 23, weiter 2013 runter auf 1.3 und Herbst 2014 rauf auf rund 5.
- Cytos Biotechnologie: IPO 2004 bei 25, dann 2007 auf 150, und wieder runter auf 0.21 im 2014. Es bleibt fraglich, ob die Aktien überhaupt noch 20 Rappen wert sind.
- Newron Pharma: IPO 2007 bei knapp 60, rauf auf 90, runter auf 2 im 2012, dann Erholung bis 16.50 im Herbst 2014.
Das waren alles lausige Investitionen für jeden, der Aktien über einen längeren Zeitraum halten will.
Natürlich gibt es ganz ohne Zweifel auch erfolgreiche IPOs. Frühe Investoren von Apple, Microsoft oder Google sind ganz bestimmt gut gefahren. Aber gerade so gut hätte man in jedem dieser Fälle auch Jahre nach dem IPO einsteigen können und hätte phantastische Ergebnisse erzielt.
- Apple ist in den ersten 10 Jahren von $1.20 auf etwa $1.60 gestiegen – kaum ein berauschendes Erlebnis!
- Bei Microsoft wäre ein früher Einstieg sinnvoll gewesen. Aber auch wer erst drei Jahre später kaufte, machte noch ein tolles Geschäft.
- Auch bei Google spielte es keine grosse Rolle, ob man sofort einstieg oder erst Jahre später: die Finanzkrise hat den steilen Anstieg von 2004 bis 2008 jäh gebremst, der Kurs stürzte ab, und wer Anfangs 2009 einstieg, hat etwa gleich viel verdient wie all jene, die drei Jahre früher einsteigen.
Bevor Sie also beim nächsten IPO mitfiebern, überlegen Sie sich zuerst, ob diese Firma zu jenem einen Prozent von Firmen gehören wird, welche den Markt deutlich schlagen können, oder ob Sie nicht noch ein paar Jahre abwarten und schauen wollen, wie sich die Firma, die Gewinne, Dividenden und der Aktienkurs entwickeln.
Ist zwar vielleicht etwas langweilig, aber tut der Performance gut.
Die Frage eingangs: Für welche Anleger lohnen sich IPOs, können wir nun leicht beantworten: Sind Sie Trader, dann reiten Sie die Welle mit und steigen wieder aus, wenn die Euphorie abklingt. Sind Sie langfristig orientierter Investor, lassen Sie IPOs links liegen, das ist nichts für Sie.
Zum Ende ein Zitat aus Siegel‘s The Future for Investors:
Each of these innovations [i.e. the innovations of the past 300 years] changed our lives profoundly. Their development was made possible by the huge quantities of capital that were thrown at them by overexcited investors.
But history proves that it is best to let others fund these innovations. Originality in no way guarantees profits. In fashion, you may want to buy what everybody else is buying. In the market, such impulses are the road to ruin.
(Alle die Erfindungen der letzten 300 Jahre haben unser Leben grundlegend verändert. Ihre Entwicklung wurde ermöglicht durch die riesigen Mengen an Kapital, welche überdrehte Investoren in sie hineingepumpt haben.
Aber die Geschichte zeigt, dass es am besten ist, andere diese Erfindungen finanzieren zu lassen. Was die Kleidermode angeht, kann man gerne kaufen was alle anderen kaufen. An der Börse sind solche Impulse der Weg in den Ruin.)
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